Es dürfte ein gewöhnlicher Arbeitstag für Hugo Bettauer gewesen sein. Der Wiener Journalist, Autor und Herausgeber der Zeitschrift „Er und Sie. Wochenschrift für Lebenskultur und Erotik“ war in seinem Büro als ein junger Mann eintrat und ihn mit der Waffe niederstreckte. Der Attentäter, bald als Otto Rothstock bekannt, bekam eine Freiheitsstrafe von wenigen Monaten, der Prozess war eine Farce. Rothstock wurde für nicht zurechnungsfähig erklärt und zudem von vielen seiner Zeitgenossen für seine Tat gelobt. Noch in den 70er-Jahren bekundete Rothstock den „Juden, der die Jugend erotisieren wollte und damit ein Geschäft begann“ aus Liebe zu seinen Altersgenossen erschossen zu haben. Reue zeigte er keine. Im Gegenteil. Rothstock, ideologisch in den Reihen der Nationalsozialisten zuhause, agierte im Dritten Reich an vorderster Front. Bettauer war der aufkommenden Rechten als Jude und Verfechter von Frauenrechten, sowie der Liberalisierung der Abtreibung und der Homosexualität ein Dorn im Auge gewesen. Seine Werke wurden nach der Machtübernahme als entartete Literatur eingestuft und verboten.
Die Verfilmung eines Bestsellers on Tour
In den 20er Jahren hatten sich die Romane Bettauers hoher Auflagezahlen und großer Beliebtheit erfreut. Sein bekanntester Roman „Die Stadt ohne Juden“ – eine Satire auf die in Wien herrschende Judenfeindlichkeit – wurde 1925 von Karl Breslauer verfilmt. In dem Werk finden sich zahlreiche Anspielungen auf reale Begebenheiten und Personen. So war die Figur des Dr. Schwerdtfegers vom christlich-sozialen Bundeskanzler Ignaz Seipel (dieser lobte die Ermordung Bettauers als Vollstreckung eines „Volksurteils“) inspiriert worden. Für die Verfilmung wurden allerdings zu offenkundig Parallelen zur Realität entschärft – aus Wien wurde Utopia. Der Stummfilm – bald in allgemeine Vergessenheit geraten und bis 2015, als eine Kopie mit unbekannten Filmfragmenten auf einem Pariser Flohmarkt auftauchte, auch in der Fachwelt nur unvollständig bekannt, wurde dank einer Crowdfunding-Kampagne in den vergangenen Jahren restauriert.
Nach seiner Premiere im Metro Kinokulturhaus wird „Die Stadt ohne Juden“ nun im Frühjahr zu einer Tournee durch Wien und die Bundesländer aufbrechen. Als Stationen fungieren unter anderem der Ballhausplatz und der Hugo-Bettauer-Platz in der Josefstadt. Seinen Anfang macht die Filmschau mit Live-Musik-Vertonung im Hamakom Theater (einst Zentrum jüdischer Kultur, von den Nazis arisiert und 2009 unter der Leitung von Frederic Lion als Theater wiedereröffnet).
Starker Bezug zur Gegenwart
Parallel zur Film-Tournee ist noch bis Ende des Jahres im Metro Kinokulturhaus die Ausstellung „Die Stadt ohne. Juden Muslime Flüchtlinge Ausländer“ zu sehen.
Auf zwei Stockwerken informieren die Kuratoren Hannes Sulzenbacher, Barbara Staudinger und Andreas Brunner sowohl über die historischen Begebenheiten (eine Fotoserie von Robert Haas dokumentiert zum Beispiel leere Wohnungen vertriebener Jüdinnen und Juden) und den Mord an Bettauer sowie zur anhaltenden Praxis der Missachtung und Vertreibung von Minderheiten. Schon während der Crowdfunding-Kampagne haben sich die Restaurierungsarbeiten mit Bezug zur Gegenwart aufgeladen, bekundet Ernst Kieninger, Direktor des Filmarchivs, das für die Arbeiten am Film verantwortlich zeichnete. Nicht zuletzt hätte das Republik-Jubiläum einen besonderen Anlass geboten zu überlegen wie mit dem Projekt umzugehen sei.
„Zwei Künstler, die mit den Mitteln der politischen Parodie gearbeitet haben“
Entstanden ist eine Ausstellung, die sowohl bewegt wie nachdenklich macht. In einem fünf Stationen umfassenden Stufenmodell zeichnen die Kuratoren den Weg von der Polarisierung über den Verlust jeglicher Empathie bis hin zum Ausschluss einer Gruppe aus der Gesellschaft nach. Verglichen werden sowohl Wahlplakate aus der Ersten Republik (kaum eine Partei, die damals nicht mit antisemitischen Inhalten warb) mit jenen aus der jüngsten Vergangenheit als auch Aussagen diverser Zeitzeugen damals und heute. Die Besucherinnen und Besucher können Zitate wie „Gaskammer? Ich halte mich da raus! Ich glaube alles, was dogmatisch vorgeschrieben ist“ und „Die Juden möchten halt rasch reiche Leute werden“ den jeweiligen Vertretern von Parteien zuordnen. Ein Zitat eines Facebook-Users, der davon spricht ein Flüchtlingskind mit einem Flammenwerfer zu beschießen, macht deutlich wie die Empathielosigkeit heutzutage erneut Aufwind erfährt. Obwohl die Kuratoren betonen, dass „nichts davon in den Holocaust führt“ beziehungsweise „die Gleise nach Auschwitz legt“ sind die Mechanismen damals wie heute dieselben.
Am Ende der Ausstellung findet sich eine Doku von Regisseur Paul Poet, die die damalige Festwochen-Aktion „Ausländer raus“ – bei dem die Menschen dazu aufgerufen wurden nach dem Vorbild von „Big Brother“ jeden Tag einen Asylanten aus dem Land zu wählen – von Christoph Schlingensief thematisiert. Sowohl Schlingesief als auch Bettauer waren Künstler, die mit den Mitteln der politischen Parodie gearbeitet haben, betonen die Kuratoren. Bettauers Roman „Die Stadt ohne Juden“ wurde letztendlich zur traurigen Realität. Aus heutiger Sicht ist es unmöglich jene Szene als die Juden aus der Stadt ausgewiesenen und zum Zug gehen „nicht durch den Filter der Schoah zu sehen“. Im Film kehrt die vertriebene jüdische Bevölkerung nach kurzer Zeit auf Wunsch der Wiener wieder in die Stadt zurück, nachdem Wien zu einem langweiligen Provinznest verkommen ist. In der Ausstellung zeugen die „Deportationslisten österreichischer Jüd_innen 1941-42“ von der realen Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten.
Die Stadt ohne
Juden Muslime Flüchtlinge Ausländer
noch bis 30. Dezember 2018
METRO Kinokulturhaus
Johannesgasse 4
1010 Wien
Öffnungszeiten: täglich 15:00 bis 21:00 Uhr
www.filmarchiv.at/program/exhibition/die-stadt-ohne/
Filmtour
Die Stadt ohne Juden
Kommende Termine
Metro Kinokulturhaus: 2. April 2018, 20,30 Uhr
Hamakom: 26. April 2018, 20.00 Uhr
Haus Rossau am Jüdischen Friedhof Seegasse: 24. Mai, 18:00 Uhr
ESRA / Ehem. Leopoldstädter Synagoge: 11. Juni, 21:00 Uhr
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